Europäisches Selbstverständnis entwickelt sich aus der unmittelbaren Begegnung der Menschen und aus der Erkenntnis gemeinsamer Aufgaben, Ziele und Interessen. Der Austausch über ähnliche Schwierigkeiten und Problemlagen kann der politischen Arbeit neue Impulse geben. In diesem Sinn ist die Zusammenarbeit und Partnerschaft der Stadt Mühlheim am Main mit Saint-Priest ein wegweisendes Projekt.
Am 20. Mai 1966 wurde im feierlichen Rahmen in Mühlheim am Main die Verschwisterungsurkunde von dem damaligen Bürgermeister von Saint-Priest, Charles Ottina, und dem damaligen Mühlheimer Bürgermeister, Werner Grasmück, unterzeichnet.
Impressionen aus den Vorjahren:
Alles war noch am Anfang in jenen Jahren nach 1950. Man wusste sich aus dem Weg in ein helleres Europa gewiss. Aber auf diesem Weg lagen noch die Schatten der nahen Vergangenheit. Nichts war selbstverständlich von dem, was später zu den Selbstverständlichkeiten gehören sollte. Die Deutschen umgab in ihrem europäischen Umfeld Vertrauen ebenso wie Argwohn, Versöhnungsbereitschaft stand neben Versteifung. In diesem Umfeld muss es bemerkenswert erscheinen, dass die ersten Impulse einer Annäherung von den Kommunalpolitikern ausgegangen sind. Nicht auf der Ebene der Diplomatie sind die ersten Brücken geschlagen worden, sondern weit darunter, auf der Rathausebene, wo die Mitmenschlichkeit mehr Raum hat als das Kalkül.
1962 wurde der Gedanke einer Städtepartnerschaft erstmals konkret in den Gremien der Stadt behandelt. Dabei kreisten die ersten Überlegungen um eine französische Stadt gleichen Namens, um Moulinssur-Allier also Mühlheim an der Allier. Die Namensgleichheit ließ eine Verbindung reizvoll erscheinen. Indes, dieses französische Mühlheim erwies sich als bereits vergeben.
Gleichwohl, der Wusch blieb beständig, auch in der Bürgerschaft. Die Ruderfreunde brachten eine englische Stadt ins Gespräch, die Knaben des Sängerchors verwiesen auf eine holländische, die Feuerwehr auf das lothringische Bitche.
Den Durchbruch brachte der Mai 1965 mit dem Besuch französischer Kommunalpolitiker aus dem Raum Lyon bei der Deutschen Sektion in Mühlheim am Main. Unter den Gästen befand sich Paul Doutre aus Villeurbanne, dem beim Betrachten der Stadt Mühlheim etwas auffiel: „Dieses Mühlheim entspricht ziemlich genau den Vorstellungen, die der Kollege Charles Ottina von einer Partnerstadt für sein Saint-Priest hat. Es wird Ottinas Wünschen gerecht in der Einwohnerzahl, in der Struktur, in seiner Nähe zu einer Metropole und es hat, wie dem Kollegen Ottina vorschwebt, einen jungen Bürgermeister.“ In Mühlheim hatte gerade der junge Werner Grasmück die Nachfolge des Anton Dey angetreten.
Die Bürgermeister nahmen Kontakt auf und tauschten Briefe. Im Oktober 1965 beschloss dann die Stadtverordnetenversammlung, dass eine Abordnung aus Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung, des Magistrats und jungen Bürgern, die der französischen Sprache mächtig sind, gebildet werden und vom 10. bis 12. Februar 1966 nach Saint-Priest reisen sollte. Nun ging alles sehr schnell. Die Stadtverordneten Mühlheims folgen der Empfehlung ihres Haupt- und Finanzausschusses, mit der französischen Stadt Saint-Priest eine Städtepartnerstadt einzugehen. Sie soll im Mai des gleichen Jahres in feierlicher Form vollzogen werden, wenn die Delegation aus Saint-Priest sich zum Gegenbesuch in Mühlheim aufhält.
Saint-Priest ist eine französische Stadt mit 48.318 Einwohnern (Stand 1. Januar 2020) im Ballungsraum von Lyon. Administrativ gehört sie zum Arrondissement Lyon und zur Métropole de Lyon in der Region Auvergne-Rhône-Alpes. Die Einwohner des Orts heißen San-Priots.
Saint-Priest hat vor allem in den 1960er und 1970er Jahren ein rasantes Wachstum erlebt (Einwohnerzahl 1962: 10.681, 1982: 42.677). Die Stadt ist ein bedeutender Industriestandort, unter anderem mit der Hauptverwaltung und einem Lastwagenwerk von Renault Trucks (dem früheren Berliet-Werk) und der Hauptverwaltung des Busherstellers Irisbus.
Saint-Priest unterhält auch eine Städtepartnerschaft mit Arezzo in Italien.